
Was tun bei Jetlag?
Neues von unserem “Cand. med., B. Sc. Physiotherapy Felix Jung”. Aktuell mitten in den letzten Zügen seiner Doktorarbeit (“Ist muskuläre Ermüdung der Unterarmflexoren abhängig vom Ausgangswinkel des Handgelenks? — eine explorative Studie”), hatte er dennoch Zeit, uns ein leidiges Thema vieler Reisenden genaustens zu erklären. Im seinem letzten Beitrag erklärte er uns schon, was bei einem Langstreckenflug mit deinen Beinen passiert.
Dieses Mal nimmt er sich das Phänomen Jetlag vor. Was Schlaf, Hamster auf Viagra und Footballspieler in diesem Zusammenhang miteinander zu tun haben, liest du jetzt:
Zeit für Klugscheißerei: Was ist Jetlag?

Auch wenn die aktuelle Situation das Reisen zu den Traumzielen dieser Welt fast unmöglich macht, ist jetzt die Zeit klugzuscheißen. Und so ganz nebenbei: Allein die Planung eines Urlaubs schüttet bereits Glückshormone aus! Ebenso wie das Lesen von Speisekarten uns bereits das Wasser im Munde zusammenlaufen lässt. Also nichts wie ran an die Planung! Doch wo soll es hingehen? Heiße Nächte in Miami? Coole Drinks unter den Palmen Indonesiens? Oder Wandern in den Bergen Patagoniens? Am besten alles genau in dieser Reihenfolge! Interessanterweise sind weit entfernte Ziele immer etwas attraktiver als die nahegelegenen, bringen aber auch ein paar Probleme mit sich.
Wer hatte nicht schon mal einen längeren Flug hinter sich und war trotz entspanntem Urlaub die ersten Tage völlig gerädert? Dann hat bei dir der sogenannte Jetlag zugeschlagen. So ein Jetlag zeigt sich durch Müdigkeit, Appetitlosigkeit, Stimmungsschwankungen bis hin zu depressiven Gefühlen. Alles, was man beim besten Willen im Urlaub nicht gebrauchen kann. Daher wollen wir uns heute zusammen anschauen, was ein Jetlag genau ist, wodurch das Ganze zu Stande kommt und natürlich wie ihr dem vorbeugen könnt.
Woher kommt der Begriff Jetlag?
Also gehen wir mal ganz klassisch an die Wortbedeutung: ‚Jet‘ steht für den Düsenjet, mit dem wir ins Urlaubsparadies fliegen möchten und ‚lag‘ bedeutet so viel wie Zeitdifferenz oder auch Verlust. Und damit ist der erste Weg zur Klärung des Mysteriums schon getan. Es geht um die Zeitverschiebung, die wir durchfliegen und was diese mit unserem Körper macht. Um den Jetlag zu verstehen müssen wir zusammen etwas tiefer in der Klugscheißerkiste graben… aber hey, gerade haben wir doch alle etwas Zeit — also einmal tief durchatmen und los geht’s!

Da der Körper mit Abgeschlagenheit und Müdigkeit reagiert liegt der Verdacht nahe, dass Jetlag auch etwas mit Schlaf zu tun hat. Dazu jetzt erstmal die grundlegende Frage: Wozu brauchen wir Schlaf? – Lange herrschte die Meinung vor, dass der Körper diese Erholungszeit braucht, um Kraft zu regenerieren und dafür in den „Energiesparmodus“ geht.
Dem ist nicht ganz so — während zwar einige Funktionen unseres Körpers gedämpft werden, wie z.B. die Filterfunktion der Nieren oder die Herzleistung, so arbeiten unsere Muskeln doch weiter (wir bewegen uns verdammt viel im Schlaf!) und unser Gehirn vollbringt Höchstleistungen. Würden wir, statt zu schlafen, lieber auf der Couch sitzen und essen wären unsere Energiereserven deutlich schneller gefüllt. Aber unser Gehirn ist, wie gesagt, sehr aktiv, worin der Schlüssel zu unserer Frage liegt. Während des Schlafs macht unser Gehirn eine Art Großputz und das jede Nacht.
Schlaf dich schlau!
Bestimmte Immunzellen im Gehirn bauen quasi die Abfallstoffe ab, die über den Tag angefallen sind. Das sind hauptsächlich Proteine (Eiweiße), die sonst im Weg rumstehen und krank machen können. Diese Eiweiße könnten beispielsweise auf Dauer den Nährstofftransport zu den Nervenzellen blockieren oder auch die Verbindung von Nervenzellen selbst, den sogenannten Synapsen. Diese Synapsen sind die Grundlage jeden Lernens und daher für uns von enormer Bedeutung! Im Schlaf verarbeiten wir die Geschehnisse des Tages und lernen daraus (bilden neue Synapsen und festigen diese).
Der Lernprozess hat natürlich schon tagsüber begonnen, das Festigen dieses Erlernten geschieht jedoch über Nacht. Schlaf dich schlau! Dieses Prinzip gilt übrigens nicht nur für Faktenwissen, sondern auch für das Erlernen motorischer Fähigkeiten. Es gibt mittlerweile einige Studien, die sich mit Leistungen und Verletzungen von Profisportlern und Schlaf beschäftigt haben — mit einem Ergebnis, dass 7–8 Stunden Schlaf täglich das Verletzungsrisiko senken und auch die sportliche Leistung steigern kann (zu wenig, aber auch zu viel Schlaf haben den gegenteiligen Effekt).

Also wir halten fest: Wir brauchen Schlaf für unsere Gehirnhygiene, damit wir gesund bleiben und Neues lernen. Diese grundlegende Fähigkeit hat uns vielleicht sogar an die Spitze der Nahrungskette gebracht. Nun stellen wir uns aber vor, wir sind bereits an einem Südseestrand, haben keine Termine, keinen Wecker und alle Zeit der Welt, nachdem wir die letzten Wochen aber immer um 6 Uhr aus dem Bett gerissen wurden, um zur Arbeit zu gehen. Trotz unseres tiefenentspannten Strandurlaubs wachen wir höchstwahrscheinlich auch ohne Wecker am nächsten Morgen um ca. 6 Uhr auf. Den Morgen darauf vielleicht um 6:30 Uhr und nach 14 Tagen Urlaub ohne Termine schaffen wir es auch bis 11 Uhr durchzuschlafen. Gerade dann, wenn der Urlaub vorbei ist… Wer hat sich das denn ausgedacht?!
Hormone, Hormone, Hormone
Diese natürliche Weckfunktion wird von Hormonen gesteuert und war für die Menschen jahrtausendelang eine überlebenswichtige Funktion. Viele Hormone unterliegen einem zirkadianen Rhythmus, was so viel bedeutet, dass zu bestimmten Tageszeiten bestimmte Hormone mehr oder weniger im Organismus vorhanden sind. Dies kommt durch verschiedenste Faktoren zusammen. Da das Thema ‚hormonelle Regelkreise‘ die meisten Ärzte und Ärztinnen auch noch nach 12 Semestern Studium erschaudern lässt, wollen wir uns auf die zwei wichtigsten Hormone für unser Thema konzentrieren: Melatonin, was dafür sorgt, dass wir einschlafen und Cortisol, was ein Grund dafür ist, warum wir auch wieder aufwachen.
Das Hormon, genauer gesagt der Neurotransmitter (Nervenbotenstoff), Melatonin wird in der Epiphyse, der sog. Zirbeldrüse im Gehirn gebildet. Jetzt kommt aber der Knackpunkt: Melatonin wird vermehrt gebildet, wenn weniger Licht in unsere Augen fällt. Also wenn es draußen hell ist, wird wenig Melatonin produziert und wenn es dunkel ist, mehr. Das kommt daher, dass ein Nervenkern (Ncl. suprachiasmaticus) mit Teilen des Sehnervs verbunden ist und so die Produktion des „Schlafhormons“ Melatonin bei Tageslicht hemmt. Gelangen bei Dunkelheit weniger Signale über diese Teile des Sehnervs, kann die Melatoninproduktion in der Epiphyse richtig losgehen und wir werden müde.
Wenn wir dann schlafen, steigt der Melatoninspiegel weiter bis zu einem gewissen Punkt an und fällt dann durch eine sogenannte negative Rückkopplung wieder ab. Dieser Abfall des Melatoninspiegels, aber auch andere Dinge wie Stress in Form von Lärm, Gerüchen oder einfach nur Termine im Gedächtnis, heben hingegen den Cortisolspiegel.
Dieses „Stresshormon“ wird zwar in der Nebenniere gebildet und ins Blut freigesetzt, aber dessen Produktion wird über die Hypophyse (Hirnanhangdrüse) reguliert und die beiden Drüsen (Epiphyse und Hypophyse) kommunizieren miteinander. So kommt es ca. eine Stunde vor dem Aufwachen i.d.R. zu einem Anstieg des Cortisols, bis wir dann wach werden, da unser Körper durch das Cortisol funktionsbereit gemacht wurde.
Nochmal zusammengefasst: Schlaf ist wichtig für Gesundheit und Gedächtnisbildung und wird hauptsächlich durch eine unterbewusste Regelung von Hormonen gesteuert. Wenn es dunkel wird, lässt uns Melatonin müde werden und einschlafen und nach genügend Schlaf oder auch durch Formen von Stress lässt Cortisol uns aufwachen.
Und was hat das mit Jetlag zu tun?
Diese beiden Hormone und die tagesabhängigen Schwankungen pendeln sich nun über eine Zeitraum von einigen Wochen ein und festigen sich dadurch. Daher kommt es nun zur Jetlag-Problematik, wenn wir in einer ganz anderen Zeitzone sind. Unser unterbewusst hormonell gesteuerter Schlaf-Wach-Rhythmus gerät aus seinem gewohnten Trott. Das bedeutet, wenn unser hormoneller Regelkreis es gewohnt ist beispielsweise um 22 Uhr das Schlafen einzuläuten, wir aber nun in Miami sind, wo es dann erst 16 Uhr ist, werden wir schlapp und müde noch bevor die Strandpartys beginnen.
Genauso steigt unser Cortisolspiegel zunächst wieder um 6 Uhr deutscher Zeit, aber wir sind ja in Miami und es ist erst Mitternacht.

Wir hatten keinen Schlaf und sind daher müde, doch unser Cortisolspiegel lässt uns nicht wirklich schlafen. Dieser Effekt tritt übrigens in der Regel erst nach einem Flug von 5–6 Stunden ein. Bei kürzeren Flügen ist der Effekt des Jetlags recht gering. Nun müssen wir uns überlegen, wie wir diesen Effekt abmildern oder dem auch vorbeugen können.
Hier gibt es kein Allheilmittel, da wir alle einen dezent anderen zirkadianen Rhythmus haben und unterschiedlich stark betroffen sind. Ich möchte euch aber drei Möglichkeiten zeigen, einen Jetlag abzumildern:
1. Radikale Lösung für geschäftliche Kurzreisen und Wettkampfsportler
Diesen Weg bestreiten beispielsweise Footballspieler der NFL bei den wenigen Spielen, die außerhalb der USA in London stattfinden. Eine logistische Meisterleistung, denn hier wird sich komplett der heimischen Routine und Uhrzeit angepasst. Das bedeutet, dass die Hotelzimmerfenster komplett verdunkelt werden und der Tag-Nacht-Rhythmus der heimischen Zeitzone nur mit Lampen simuliert wird. Auch die Essenszeiten und Mahlzeiten selbst richten sich nur nach der heimischen Zeitzone. Die Spieler dürfen nicht nach draußen, da der Tageslichteinfluss — wie wir vorhin gelernt haben — den Hormonhaushalt sonst durcheinanderbringen könnte. So haben die Spieler zwar keinen all zu schönen Aufenthalt, aber sie können Höchstleistungen ohne Jetlag bringen und fliegen ja bereits am zweiten Tag wieder zurück.

2. Der Ansatz für die jungen Agilen unter uns
Wer nicht zu sehr mit Symptomen zu kämpfen hat, kann den schnellen und anstrengenden Weg nutzen und quasi eine Nacht auslassen. Das funktioniert aber nur bei Flügen Richtung Westen.
Das bedeutet Folgendes: Ihr steigt ins Flugzeug und schlaft dort nicht oder wenig und macht auch noch den Tag der Ankunft durch bis zu eurer „normalen“ Schlafenszeit, beispielswweise 22 Uhr Ortszeit. Verbringt diesen ersten Tag mit wenig anstrengenden Dingen aber bleibt in Bewegung, damit euch die Müdigkeit nicht übermannt. Dann ist euer Hormonhaushalt abends voll auf Schlaf eingestellt und selbst das Cortisol hält euch nicht mehr lange wach. Stellt euch keinen Wecker für den nächsten Morgen, sondern lasst euren Körper bestimmen, wann er bereit ist für das Abenteuer.
Plant auch an diesem zweiten Tag bitte noch nicht die härteste Wandertour des Urlaubs. Aber an sich solltet ihr hier schon leistungsfähig sein. Nach der zweiten Nacht ist dann das Schlimmste überstanden und jeder Gipfel kann erklommen werden.

Bei Flügen Richtung Osten ist es umgekehrt — hier solltet ihr einen Abendflug buchen und während des Fluges schlafen, sodass ihr im besten Fall morgens an eurem Zielort wieder wach werdet.
Funfact: Argentinische Forscher konnten durch ein Viagra-ähnliches Medikament (Sildenafil) den Jetlag bei nachgestellten Flügen in Richtung Osten bei Hamstern verringern. Stichwort „Mile-high-club“.
3. Der sanfte, aber aufwändigere Weg
Wenn ihr wirkliche Probleme in der Vergangenheit mit Jetlag-Symptomen im Urlaub hattet, dann solltet ihr euren Körper langsam darauf vorbereiten. Passt euren Schlafrythmus bereits einige Tage, bevor es in den Flieger geht, der neuen Zeitzone an. Das bedeutet, wenn ihr nach Miami wollt (wie gesagt 6 Stunden Zeitunterschied) und ihr gewöhnlich von 22 Uhr bis 6 Uhr schlaft, versucht über 6 Tage immer 30 Minuten später ins Bett zu gehen und auch im besten Fall 30 Minuten später aufzustehen. Rollläden runter nicht vergessen!
So kommt ihr der Zeitzone in Miami Stück für Stück näher und solltet dann dort erst zum Abend müde werden und nicht schon nachmittags. Dieses Vorgehen funktioniert umso besser, je langsamer und länger es im Voraus praktiziert wird.
Achja, wenn ihr natürlich nach Osten anstatt nach Westen fliegt, dann kehrt ihr das Vorgehen um und versucht immer 30 Minuten früher ins Bett zu gehen.
Mit diesen Mitteln könnt ihr euren Hormonhaushalt ein wenig steuern und so den Jetlag zumindest verringern. Aber auch wenn wir gefühlt keinen Jetlag mehr haben dauert es insgesamt 8–10 Tage, bis euer zirkadianer Rhythmus sich auf die neue Zeitzone eingestellt hat. Deswegen bitte nicht ständig von Zeitzone zu Zeitzone jetten. Unsere Hormone steuern auch Wachstum, Immunsystem und andere Funktionen, die auf lange Sicht darunter leiden. Ein Urlaub in Übersee allein ist aber natürlich gesundheitlich kein Problem. Das Einnehmen von Schlafmitteln oder Melatonin, sollte nur bei wirklichen Schlafstörungen in Absprache mit eurem Arztes erfolgen. Ansonsten bringt ihr nur eure „innere Uhr“ ganz aus dem Gleichgewicht.
So liebe Reisewütige: Schnappt euch nun eure Bucketlist, schaut ein paar Dokus an, wie schön die Welt doch sein kann und plant euch glücklich zum nächsten Urlaub. Der Jetlag stellt nun schließlich kein großes Problem mehr dar.

